Positive Stillerfahrung trotz schmerzhaftem Start

Sara ruft mich an, als ihr Sohn Matteo etwa 10 Tage alt ist. Sie ist sehr verzweifelt, da das Stillen von Anfang an sehr schmerzhaft ist. In der Klinik bekam sie immer wieder bestätigt, dass diese Schmerzen normal seien und Matteo die Brust korrekt erfassen würde. Trotz aller Bemühungen, auf eine gute Stillposition und ein korrektes Erfassen der Brust zu achten, ist das Stillen weiterhin so schmerzhaft, dass sie sich eine Stillpause überlegt, um eine Zeit lang nur noch zu pumpen, damit die Brustwarzen heilen können. In der Zwischenzeit zeigen ihre Brustwarzen sogar offene, blutende Risse, welche von einer Hebamme mit Laser behandelt werden, damit sie schneller heilen. Dennoch sei bis jetzt keine wesentliche Besserung eingetreten, da sich die Risse durch das Stillen immer wieder etwas öffnen. Sara ist das Ganze unverständlich, zudem sie in der Stillberatung der Klinik hörte, ihre Probleme seien alleine auf unkorrektes Anlegen zurückzuführen. Hinzu kommt noch, dass Matteo immer schlechter an der Brust trinkt und immer schläfriger wird.

Bei meinem ersten Hausbesuch am Tag nach unserem Telefonat finde ich folgende Situation vor: Sara hat nach langer Überlegung beschlossen, trotz ihrer Angst, eine Saugverwirrung bei Matteo hervorzurufen, eine Stillpause einzulegen, ihre Milch abzupumpen und mit der Flasche zu füttern. Auf Grund ihrer schlimmen Verletzungen und der großen Schmerzen kann ich Sara sehr gut verstehen und bin auch der Meinung, dass eine Pause sinnvoll ist, bis die Brustwarzen einigermaßen verheilt sind. Da ich Matteo nicht beim Saugen an der Brust beobachten kann, frage ich Sara, ob sie mit einer Sauguntersuchung einverstanden ist. Dabei stelle ich fest, dass Matteo meinen Finger nicht weit genug in den Mund hineinzieht, stark mit der oberen Zahnleiste klemmt und seine Zunge schlecht bewegt. Zudem ist mir aufgefallen, dass er ausgeprägte Saugblasen an der Oberlippe hat, was ebenfalls darauf hinweist, dass er die Brust nicht tief genug in den Mund hineinzieht und sie folglich vor allem mit den Lippen festhält. Diese Beobachtungen lassen mich zu dem Schluss kommen, dass ein verkürztes Zungenbändchen die Ursache sein könnte. Bei der weiteren Untersuchung stelle ich dann ein posteriores Zungenbändchen fest, welches aber beim Anheben der Zunge noch recht gut sichtbar ist. Ein posteriores Zungenbändchen ist schwerer festzustellen. Es liegt weiter hinten, die Zunge sieht an sich “normal” aus und manche Kinder können die Zunge sogar etwas aus dem Mund herausstrecken. Mir ist auch aufgefallen, dass Matteo andauernd versucht seine Zunge auszustrecken, sie aber nur knapp über die untere Zahnleiste heraus reicht. Ich erkläre Sara, wie ein zu kurzes Zungenbändchen sich auf die Saugtechnik des Babys auswirkt. Der kurze und wenig schmerzhafte medizinische Eingriff, um das Zungenbändchens einzuschneiden, würde es Matteo ermöglichen, seine Zunge beim Saugen besser zu bewegen und wäre auch hilfreich für seine spätere Sprachentwicklung und die Einführung der Beikost. Weil die Saugtechnik nicht optimal ist, besteht die Gefahr, dass die Milchproduktion nicht ausreichend stimuliert wird und der Milchfluss zu wünschen übrig lässt. Viele Babys nehmen dadurch irgendwann nicht mehr gut an Gewicht zu oder sogar ab; so auch Matteo, wie meine Waage anzeigt. Ich gebe Sara die Namen mehrerer Ärzte an, von denen mir bekannt ist, dass sie Zungenbändchen durchtrennen. Sie beschließt, einen Kinderchirurgen aufzusuchen, der auch sofort bereit ist, Matteos Zungenbändchen am nächsten Tag zu durchtrennen. In der Zwischenzeit war Matteo auch bei einem Craniofacialtherapeuten in Behandlung, der einige Blockaden im Nacken und im Gaumen gelöst hat.

Bei meinem zweiten Hausbesuch ist Sara sehr viel zuversichtlicher: Das Zungenbändchen konnte problemlos durchtrennt werden und ihr ist sofort aufgefallen, dass Matteo seine Zunge nun endlich richtig aus dem Mund herausstrecken kann. Zudem sind ihre Brustwarzen fast vollständig verheilt, wozu auch das regelmäßige Lasern beigetragen hat. Sie hat sich aber noch nicht getraut, das Baby wieder anzulegen, was wir nun gemeinsam versuchen wollen. Ich schlage ihr vor, es mit der “Concorde-Technik” zu versuchen. Diese spezielle Anlegetechnik wurde von der niederländischen Laktationsberaterin Myrte van Lonkhuijsen entwickelt, um Müttern von Babys mit einem zu kurzen Zungenband dazu zu verhelfen, weitgehend schmerzfrei stillen. Hierbei soll die Mutter sich mehr oder weniger normal hinsetzen, eventuell etwas zurücklehnen, um bequem zu sitzen, aber nicht zu sehr! Das Baby wird ziemlich “aufrecht” in ihren Arm “gesetzt” und dabei abgestützt. Es geht dann darum, dem Baby zu helfen, indem die Mutter ihre Brust in den Mund des Babys hinein hebt und dann ihre Brust während des Stillens unterstützt, indem sie ihren Zeigefinger unter ihre Brust parallel zu ihrer Areola legt. Sara beherrscht diese Methode sofort perfekt und das Stillen war auch “fast” schmerzfrei, zumindest auf der linken Seite. Sara und Matteo üben weiterhin fleißig, dennoch hat Sara das Gefühl, dass trotz der neuen Anlegetechnik irgendetwas noch nicht in Ordnung sei. Sie beschließt daraufhin lieber noch weiter zu pumpen aus Angst vor neuen Verletzungen. Des Weiteren nimmt sie einen zweiten Termin bei dem Craniofacialtherapeuten wahr, welcher noch weitere Blockaden löst. Nach dieser Behandlung ist das Stillen dann auch endlich schmerzfrei.

Während meines Urlaubs ist meine Kollegin Eliane zu einem letzten, abschließenden Hausbesuch gekommen, bei dem sie Sara bestätigen kann, dass wirklich alles in Ordnung ist. Nach einem sehr schwierigen ersten Monat können Sara und Matteo das Stillen nun endlich genießen!

Ute Rock
Laktationsberaterin IBCLC und Mitarbeiterin der IL

Ein Artikel, der in der Elternzeitschrift „baby info“ veröffentlicht wurde (nr 3/2017)