Warum fängt man nicht mit dem dritten Kind an?

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Dieses Interview wurde von Claudia Goudemond geführt, mit einer Mutter von drei Kindern.

Wie hast du dir vor der Geburt des ersten Kindes das Zusammenleben vorgestellt?

Ich war in dieser Idee gefangen, gewisse Traditionen, die ich in meiner Erziehung und mein Mann in seiner Erziehung erlebt hatten, weiterzugeben. Die eigene Erziehung, die wir empfangen haben, bewusst wahrzunehmen und abzuwägen, das war schon etwas Schwieriges.                                                                  

Es kamen Fragen in mir auf wie: Was möchte ich von meiner eigenen Erziehung weitergeben und was nicht? Wie wurde ich erzogen, bzw. begleitet? Eine stetige Reflexion dessen fand statt und ich befand mich diesbezüglich in einem Loslösungsverfahren von meinen Eltern und deren Erziehungsansichten.

Ein weiterer Punkt war, dass ich mir in meinen Gedanken, das Zusammenleben mit dem Partner und den Kindern vor der Geburt unseres ersten Kindes, nur in Harmonie denkend vorstellen konnte. Gewisse Grundsätze, wie wir unser erstes Kind und die weiteren begleiten wollten, hatten mein Partner und ich vorab schon abgesprochen und zusammen festgelegt. Ein paar dieser Grundregeln waren zum Beispiel:
– Das Baby nicht schreien zu lassen.
– Das Kind nicht einfach zu wickeln, sondern mit dem Kind in Interaktion sein, also eine gemeinsame Zeit auf dem Wickeltisch zu verbringen.

Folgende Fragen führten zu dem weiteren Gespräch:

Welche Tipps und Ratschläge bekamst du damals von deiner Umgebung zu hören?         

Die wenigen Prinzipien, die wir als Eltern vereinbart hatten, wurden wirklich durch die Umwelt, durch die Kommentare anderer Personen auf die Probe gestellt und wir mussten uns dann doch viel von außen anhören, wie zum Beispiel: „Wenn die Mama bei jedem Pieps zum Baby läuft, dass das der 5 jährige dann auch noch einfordert.“

Auch die Schlafsituation war stets ein Thema welches von Fragen, Tipps und Ratschlägen anderer Menschen begleitet war. Wir haben im Zimmer jedes Kindes eine Schlafmöglichkeit für einen Erwachsenen.            

Die Kinder können allerdings auch nachts zu uns in Bett wechseln, wenn eines dies in dem Moment gerade braucht. Wir wurden gefragt, ob das gut für das Kind wäre? Ob das Kind denn dann jemals allein sein und einschlafen könne? Ob wir es damit nicht zu sehr verwöhnen würden? Stets bekamen wir den Gegenwind zu spüren und waren permanenten Kommentaren ausgeliefert.

Für mich ist zu Beginn des Lebens das Einschlafstillen normal. Das Baby fragt nach der Brust und schläft über dem Trinken ein. Es ist praktisch und ergibt sich einfach. Ich finde aber, dass sich je nach Alter dann auch andere Einschlafrituale ergeben – je nach Charakter des Kindes.

Das erste Kind habe ich mehr in den Schlaf gestillt als das zweite und das dritte noch weniger.

Abends habe ich sie anfangs immer in den Schlaf gestillt und nachts auch fast das ganze erste Lebensjahr. Tagsüber habe ich allerdings deutliche Unterschiede bemerkt. Beim ersten Kind habe ich jeden Schlaf stillend begleitet. Das zweite Kind schlief auch oft einfach so ein, während ich mit seinem Geschwister beschäftigt war. Beim dritten Kind ist der Rhythmus ein anderer und es schläft nicht an der Brust ein, sondern eher im Tragetuch. Bei ihm geben die zwei größeren Kinder mehr den Tagesablauf vor, sodass ich mit dem jüngsten Kind wesentlich flexibler sein darf, bzw. sein muss.

Die Ratschläge, über die ich mir mehr Gedanken gemacht habe, waren nicht die aus der Familie, sondern eher von Ärzten und Stillberatern.

An diesem Punkt habe ich mich gefragt, warum ich nicht mit dem dritten Kind anfangen könnte. Da ich dann mehr Sicherheit und Vertrauen zu mir und meinen Kindern gehabt hätte und dementsprechend anders mit den Ärzten in Kontakten getreten wäre.

Es wurden immer wieder Tipps gegeben, wie z.B.: „Legen Sie das Kind auf den Bauch, setzen sie es hin,- ziehen sie das Kind hoch und laufen mit ihm an der Hand.“                        

Die Ärzte haben mir bezüglich der Bewegungsentwicklung folgendes gesagt:

„Das Kind ist in seiner Körperform so asymmetrisch und muss auf den Bauch gelegt werden.“

„Wenn es sich nicht bessert, muss etwas anderes angeboten werden, z.B. eine Therapie oder Ähnliches.“   

Natürlich konnte unser erstes Kind irgendwann liegen, sitzen, stehen, laufen etc.                     

Welche Gedanken gingen dir bei der Umsetzung durch den Kopf?

Als Mutter bekomme ich durch die Mitteilungen der Ärzte das Gefühl, dass etwas mit meinem Kind nicht stimmen würde.

Durch die ständigen Ratschläge, ich solle mein Kind auf den Bauch legen, wurde mein eigenes Vertrauen in mein Kind und in mich geschwächt. Auch wird, meiner Meinung nach, das Kind stets in seinem Tun und seinem Wollen in der Bewegungsentwicklung durch die äußerlichen Eingriffe manipuliert.                                                                                                                                    

Das sind einige Gedanken zu meinem persönlichen Entwicklungsprozess in meine Mutterschaft.

Welche Tipps, die du von deiner Umgebung erhalten hast, hast du umgesetzt und weshalb? Was hast du währenddessen bei dir und deinen Kindern sehen können und was hat sich verändert?

Als Mutter habe ich den Rat des Arztes beim ersten Kind befolgt und es in seiner Bewegung manipuliert, indem ich das Kind auf den Bauch gedreht, es hingesetzt und an den Händen geführt habe. Durch meine jetzigen Erfahrungen weiß ich, dass ich mein Kind in den Momenten wesentlich in seiner eigenen Motorik eingeschränkt habe. Es war hierdurch weniger explorationsfreudig als die anderen beiden Kinder. Es hat mich häufiger um Hilfe gebeten. Mein erstes Kind fühlte sich durch die von mir ausgeführten Manipulationen an ihm wesentlich unsicherer in seinem Körper.

Beim zweiten Kind habe ich mir noch stärker vorgenommen, dass es die Erfahrung des eigenständigen Bewegens selber lernen und spüren darf. Ich versuchte noch intensiver, den « Ratschlägen » von außen standzuhalten. Zurückdenkend sehe ich, dass unser erstes Kind sehr unsicher in seiner Motorik ist, vielleicht dadurch auch in seiner Persönlichkeit.

Das zweite Kind wurde irgendwann auch von mir auf den Bauch gedreht, weil ich diesem Druck aus der medizinischen Welt nicht weiter standhalten konnte. Ich habe lediglich das Sitzen und an der Hand führen nicht geübt.

Die Ärztin erlebte, dass ich, in Bezug auf die helfende Hand zur motorischen Entwicklung meiner Kinder, nicht immer auf sie hörte.

Es folgte daraufhin ein Gespräch mit der Ärztin und ich bat sie, nur Bemerkungen zu machen, wenn das Kind in seiner Entwicklung so auffällig wäre, dass tatsächlich therapeutischer Handlungsbedarf bestünde.

Was hast du durch das Durchlaufen deiner eigenen Prozesse während deiner bisherigen Mutterschaft geändert in Bezug auf die Umgangsweisen mit den Kindern und warum?

Ich habe gelernt zu vertrauen und hierdurch gesehen, dass meine Kinder stets lernen möchten. Sie entwickeln sich fortwährend weiter und haben ihre motorische Entwicklung bis jetzt gut durchlaufen. Ebenso ging es vom Stillen bis zum gemeinsamen Familientisch. Auch dort haben sie ihren Platz gefunden.

Sie haben ebenfalls gelernt, alleine einzuschlafen.                                                                      

Ich hörte mir beim dritten Kind die Aussagen der Ärztin an. Sie sagte: „Drehen sie das Kind um und legen sie es auf den Bauch.“ Ich antwortete: „Lassen wir ihm Zeit“. Ich konnte zu meinem Kind stehen und für es einstehen, also die Verantwortung dafür übernehmen und war nicht mehr so verunsichert wie beim ersten Kind.

Es dauerte zwar und es gehörte einiges an Mut dazu, um vor der Ärztin sagen zu können: „Bitte geben Sie dem Kind noch seine Zeit, um sich weiter zu entwickeln.“

Wenn der Arzt etwas sagte, was ich mit dem Kind tun sollte und ich dem vielleicht nicht nachkam, gingen meine Gedanken zu meinem Kind und Fragen kamen auf, ob ich ihm dann in dem Moment des nicht-Umsetzens eventuell einen Schaden zufüge? Der Gedanke daran ist quälend für mich und der innere Druck ist enorm groß gewesen.

Ärzte kontrollieren die Tabellen und  Normen. Für mich ist die Kopfkontrolle ein Beispiel dessen, wo nach Tabellen und Normen geschaut wird. Sie wurde bei meinen Kindern mit 8 Wochen oder mit 12 Wochen kontrolliert. Ob dies mit 8 Wochen oder mit 12 Wochen geschieht, macht einen großen Unterschied. Mit 12 Wochen ist das Kind zwar „nur“ 4 Wochen älter als mit 8 Wochen, aber jedoch sind 4 Wochen ein Drittel seiner bisherigen Lebenszeit. Das ist viel Entwicklungszeit und es wird so selten abgewartet, wie sich das Kind weiterentwickelt.      

Der Prozess bei mir, um meinem Kind den nötigen Halt als Vertrauensperson zu geben, ist gut voran gegangen und wird sich sicherlich weiterentwickeln. Ich stelle mir nur oft die Frage, ob es nicht auch für mein erstes Kind gut gewesen wäre, wenn ich schon damals mehr für es hätte einstehen können?       

Welche Entwicklungsprozesse hätten sich dadurch bei ihm verändert? Was und wie hätte er sich anders entwickelt und was hätte ich vermisst, wenn ich diesen Entwicklungsprozess nicht selber hätte gehen können?

Die Überlegungen und Gedanken, die ich bei meinem ersten und ebenfalls bei meinem zweitem Kind hatte, waren für mich nicht so positiv. Stets habe ich mich gefragt, ob es falsch ist, was ich da mache. Es fühlt sich für mich doch gut an, wenn ich dem Kind die Zeit einräume, die es für seine Entwicklung braucht und ich bemerke bei meinem ersten Kind seine Verunsicherung. Im Innersten weiß ich, dass seine Unsicherheit nicht nur durch seine Persönlichkeit bedingt ist, sondern die Manipulationen einen Teil dazu beigetragen  haben. Das konnte ich in den darauffolgenden Jahren ein wenig verändern, da ich ihm die Zeit gab,  eigene Versuche in der Motorik selbst durchzuführen. Doch merke ich noch stets Unterschiede zwischen dem ersten, zweiten und dritten Kind.

Auch ich bin in meiner Haltung sicherer geworden. Das Beispiel ist wieder das Thema Schlaf. Meine ersten beiden Kinder haben ganz anders geschlafen als mein Drittes. Dieses braucht viel mehr Körperkontakt, zumindest phasenweise. Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich das aber viel leichter zulassen – ich bin mir einfach sicher, dass auch er nicht mit 18 noch auf meinem Bauch schlafen will.

Ich vertraue mehr auf meine Kinder, sei es in der Bewegungsentwicklung oder beim Schlaf. Ich überlege nicht mehr lange, ob es z.B. helfen würde das Bett an eine andere Stelle zu stellen. Ich weiß einfach, dass es gut ist, wie es jetzt ist und dass Situationen auch einmal wieder anders werden.

Ich bin durch die durchlaufenen Prozesse einfach sicherer geworden.

Claudia Goudemond
Bewegungspädagogin, Pikler-Pädagogin und Mitarbeiterin bei der IL.

Artikel aus der Elternzeitschrift « baby info » 1/2019