Geburtsbericht aus der Perspektive eines Vaters

Eine Geburt unter Covid-19 Bedingungen

Mein Sohn ist am 24. März 2020 um 17:20 Uhr zur Welt gekommen. Am 16. März, acht Tage zuvor, war das öffentliche Leben komplett stillgelegt worden. Ich bin hauptberuflich als psychologischer Psychotherapeut tätig und musste ab dem Moment von zu Hause aus arbeiten. Das bedeutete auch, ich würde mehr Zeit mit meiner Frau, meiner Tochter und meinem Sohn nach der Geburt verbringen können. Ich konnte dem Lockdown zu diesem Zeitpunkt also durchweg etwas Positives abgewinnen, ich freute mich sogar.

Voraussichtlich würde die Geburt um den 2. April stattfinden, meine Frau und ich hatten demnach noch etwas Zeit, um uns an das neue Leben unter Covid-19 Vorzeichen zu gewöhnen. Wir machten uns keine größeren Sorgen. Und doch tauchte die Frage auf: „Was ist, wenn ich nicht mit in den Kreissaal darf“. Während der Geburt unserer Tochter waren wir ein richtig gutes Team, fühlten uns verbunden, doch nun schien meine Präsenz bei der Geburt in Frage gestellt. Wir fragten nach, holten uns die gerade verfügbaren Informationen und diese stimmten uns eher zuversichtlich. Wir schmiedeten Pläne, organisierten die Unterbringung unserer Tochter und genossen die letzten Tage zu Dritt.

Gegen Ende der ersten Lockdown Woche erhielten wir die Nachricht, dass eine gute Freundin, mit der meine Frau sich drei Tage vor dem 16. März auf einen Kaffee getroffen hatte, positiv auf Covid-19 getestet worden war. Aufregung! Zu diesem Zeitpunkt gab es weder Contact Tracing noch Quarantäne für Kontaktpersonen. Wir versuchten mit „logischer“ Deduktion zu ergründen, ob meine Frau sich angesteckt haben könnte. Wir kamen zum Schluss: nein, das ist eher unwahrscheinlich. Aber wir waren auf einmal in einem anderen Szenario, die Zweifel blieben, konnte sie nicht doch … Im Krankenhaus konnte man uns noch keine genauen Angaben machen. Auf der „Covid Hotline“ meinte man, das sei kein Problem, vor allem auch da meine Frau keine Symptome hatte und der Geburtstermin ja nicht für die nächsten Tage geplant war. Wir waren beruhigt.

Fünf Tage später, am Morgen des 24. März meinte meine Frau, dass sich die verspürten Wellen doch etwas anders anfühlten. Kurze Zeit später winkte sie ab: „ist doch nichts“. Das erinnerte mich an den Tag, als meine Tochter zur Welt kam. Ich war aufgeregt und freute mich. Sollte ich den anstehenden Gesprächstermin absagen? Bis in den frühen Nachmittag blieb die Lage unklar. Meine Frau war anders, ich fragte regelmäßig nach und sie versicherte jedes Mal, alles sei in Ordnung. Trotzdem beschloss ich, die telefonische Beratung kurz und knapp zu halten. Kurz darauf hatte meine Frau starke Wellen. Nun geht es los, dachte ich. In Wirklichkeit war es voll im Gange! Ich brachte unsere Tochter zu ihrer Tante, half meiner Frau, die schon Probleme beim Gehen hatte ins Auto und schon waren wir unterwegs in die Klinik. Ich hatte Angst wir würden es nicht rechtzeitig schaffen und das Kind könnte im Auto zur Welt kommen.

Gottseidank waren wir in zwei Minuten vor Ort. Sicherheitsleute desinfizierten uns und ich hastete zum Empfang. Ein Rollstuhl wurde für meine Frau gebracht. Damals hieß es, nach vierzehn Tagen erst ist man (symptomlos) nicht mehr ansteckend. Aber der Risikokontakt meiner Frau war vor zwölf Tagen gewesen. Ich teilte meine Sorge am Empfang mit. Plötzlich waren wir in einem anderen Film. Es wurde telefoniert, Masken wurden gereicht.

Die Pflegekraft mit dem Rollstuhl war sichtlich gestresst. Sie bat meine Frau Platz zu nehmen und fuhr mit ihr los. Ich stand da und verstand nicht, was gerade passierte. Ich hörte meine Frau schreien, sie hatte Schmerzen und wollte, dass ich bei ihr bin. Die Pflegekraft wurde energisch, ich dürfe nicht mit und müsse warten. Ich realisierte sehr schnell, dass es ihr Ernst war, merkte zugleich auch, dass alles sehr hektisch war. Wenn ich Kontra geben würde, würde es Streit geben. Man könne mich vor die Tür setzen. Ich entschied mich dazu nicht zu streiten und ließ meine Frau allein mit der Pflegekraft gehen. Meine Frau schrie, sie protestierte, sie wollte das nicht, sie wollte mich dabei haben und ich wollte bei ihr sein.

Ich ging zum Fahrstuhl und versuchte mich zu sammeln, wie würde ich zu meiner Frau kommen? Ich erinnerte mich an die große Eingangstür zur Entbindungsstation an der man klingeln sollte und entschied mich genau dort zu klingeln und mir meinen Weg zu bahnen. Es machte keinen Sinn mich nicht rein zu lassen, wir lebten zusammen, gleiches Risiko. Ich klingelte, erklärte wer ich war und dass ich zu meiner Frau rein wolle. Ich solle kurz warten, sagte man mir. Einen Moment später: „Sie können rein, Gang rauf und dann nach rechts“. Ich war erleichtert und überglücklich.

Der Anblick war surreal. Meine Frau war erleichtert mich zu sehen, sie saß noch immer im Rollstuhl, hinter ihr eine Hebamme, die sich gerade sicherheitshalber in alles Mögliche einhüllte. Schließlich durften wir maskiert in den Kreißsaal.

Die Geburt verlief sehr schnell, nach fünf Minuten rief die Hebamme die diensthabende Ärztin und 15 Minuten später wurde unser Sohn geboren. Die Geburt war gut und doch auch etwas befremdlich. Von der vermummten Hebamme sah man nur die Augen, das gab ihr eine gewisse einschüchternde Strenge.

Nach der Geburt durften wir noch zwei Stunden zusammen im Kreissaal bleiben, es war toll unseren kleinen Sohn anzuschauen und ihn im Arm zu halten. Gleichzeitig fühlte ich mich schuldig, als hätten wir etwas falsch gemacht, da wir unter Covid-19 Verdacht standen. Aber es waren die Umstände, die „falsch“ waren.

Die Hebamme und die Ärztin durften den Kreissaal wegen Covid-19 Verdacht nicht verlassen. Einen Moment alleine zu Dritt gab es nicht. Nach mehreren Telefonaten war klar, dass ich nicht mit aufs Zimmer durfte. Ich musste gehen und dabei hatte ich mir vorgestellt die Nacht zusammen mit meinem Sohn und meiner Frau zu verbringen, ihn auf meine Brust zu legen und ihn zu spüren. Aber gerade das war nun nicht möglich. Ich war traurig, das tat weh.

Zuhause wusste ich nichts Besseres als meine Zeit mit einem Bier und einem Film zu vertun.

Meine Frau und mein Sohn durften am nächsten Abend nach Hause. Sie hatten die Nacht nicht auf der Entbindungsstation, sondern auf einer für Covid-19 Verdachtsfälle umgestalteten normalen Krankenhausstation verbracht. Einen Wickeltisch gab es dort nicht und so musste meine Frau unseren Sohn unter Neonlicht auf dem Kühlschrank wickeln.

Diese Nacht allein zu Hause zu verbringen, ohne bei meinem Sohn, hat lange an mir gearbeitet. Ich hatte lange das Gefühl keinen richtigen Draht zu ihm zu haben. Diese wichtigen Stunden nach der Geburt haben mir gefehlt und es hat Arbeit gekostet das aufzuholen. Heute ist mein Sohn ein Jahr alt, er strahlt und lacht und lässt mein Herz höherschlagen.

Jean Fischbach